Jack Ruby: Der Mann, der den Mörder von John F. Kennedy erschoss - WELT (2024)

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Immerhin: Eine Beweisaufnahme war fast überflüssig. Denn der Täter hatte nicht nur gestanden. Er hatte sie zudem vor Dutzenden Augenzeugen vor Ort verübt und noch dazu vor mehreren laufenden Fernsehkameras. So sahen alle Zuschauer des TV-Sendernetzes von NBC zu. Vor dem 24. November 1963 gab es wohl keinen Mord, der von mehr Menschen live verfolgt wurde.

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Die USA standen an diesem Sonntag noch unter Schock. Gerade einmal 46 Stunden und 50 Minuten war es her, dass am Rande der Innenstadt von Dallas auf der Elm Street Präsident John F. Kennedy erschossen worden war. Immerhin: Noch am selben Nachmittag konnten die Behörden den mutmaßlichen Schützen festnehmen, ein gewisser Lee Harvey Oswald. Doch als der Beschuldigte in der Tiefgarage des Polizeipräsidiums zu dem Wagen eskortiert wurde, der ihn ins Bezirksgefängnis bringen sollte, knallte es genau um 11.21 Uhr vormittags schon wieder.

Jack Ruby: Der Mann, der den Mörder von John F. Kennedy erschoss - WELT (1)

Ohne, dass es einer der zahlreichen städtischen Polizisten und FBI-Agenten hätte verhindern können, sprang ein untersetzter Mann in dunklem Anzug und mit beigefarbenem Hut aus der Menge der Schaulustigen auf Oswald zu. In der Hand hielt er einen Colt Cobra im Kaliber .38 special, mit dem er auf den Leib seines Gegenübers zielte – und abdrückte. Das Geschoss von etwa neun Millimeter Durchmesser drang links vorn in Oswalds Körper ein, zerfetzte seine Milz, verletzte den Magen, die Aorta, eine Niere, das Zwerchfell und die elfte Rippe, bevor es auf seiner rechten Seite steckenblieb.

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Oswald schrie vor Schmerzen und umklammerte mit seinen gefesselten Händen seinen Leib, dann sackte er auf den Betonboden und stöhnte mehrmals laut. Im selben Moment, das zeigte die aufgezeichnete TV-Übertragung, rief Detective Billy Combest vom Dallas Police Department: „Jack, you son of a bitch!“ Der 31-jährige Kriminalpolizist hatte den Täter erkannt.

Für den mutmaßlichen Präsidentenmörder, der nun selbst das Ziel eines Tötungsdeliktes geworden war, kam jede Hilfe zu spät. Er wurde zwar noch ins selbe Krankenhaus wie Kennedy gebracht. Doch die Ärzte des Parkland Memorial Hospital konnten wieder nur, wie am vorangegangenen Freitag, den Tod des Eingelieferten feststellen. Dafür gab es – immerhin, könnte man sarkastisch sagen – keine Debatte um die Person seines Mörders.

1911 war Jack Ruby in eine arme Einwandererfamilie hineingeboren worden; seine jüdisch-orthodoxen Eltern stammten beide aus Polen. Mit vollem Namen hieß er Jacob Leon Rubenstein, doch änderte er diesen Namen 1947 offiziell; die Behörden in Dallas akzeptierten seine Begründung, als „Jack Ruby bekannt“ zu sein.

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Seine Kindheit in Chicago war geprägt von väterlicher Gewalt und (Klein-)Kriminalität – buchstäblich „schwierige Verhältnisse“. Schon früh fand er Kontakt zum organisierten Verbrechen, das sein Leben prägen sollte, auch wenn er selbst bis zum 24. November 1963 nur einige unbedeutende Geldstrafen erhielt. Im Zweiten Weltkrieg diente Ruby als Flugzeug-Mechaniker bei den US Army Air Forces und betrieb danach in Dallas einen ersten Nachtclub; zwei weitere kamen später hinzu. Ein Boss war er trotzdem nicht, eher ein kleiner Mitspieler im Prostitutions- und Drogengeschäft.

Nach allerdings nie bewiesenen Mutmaßungen gehörte er zur „Yiddish Connection“, einer Mafia-artigen Bande in jüdischen Milieus. Geschickt knüpfte Ruby Kontakte zur Polizei, deren Beamten teilweise gern gesehene Gäste in seinen Etablissem*nts waren. 1959 versorgte er kurze Zeit das FBI mit Informationen, doch die Bundespolizei war unzufrieden mit den Ergebnissen und beendete die Zusammenarbeit. Gut möglich, dass Ruby auch hier versucht hatte, seine eigenen Taten abzusichern.

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Als Ruby vom Anschlag auf Kennedy erfuhr, laut Zeugenaussagen etwa eine Viertelstunde nach den Schüssen, soll er befürchtet haben, dass die Schuld daran einer vermeintlichen jüdischen Verschwörung zugeschoben werden könnte. Hintergrund war, dass ein Mann mit jüdisch klingendem Namen eines der gegen Kennedy gerichteten Flugblätter unterschrieben hatte.

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Am 24. November 1963 erledigte Ruby eine Geldanweisung. Er war mit seinem Dackel „Sheba“ unterwegs, den er gern als die „Frau in meinem Leben“ bezeichnete. Persönlich lebte er mit einem Mann zusammen, einem gewissen George Senator, bestritt aber, hom*osexuell zu sein – was seinerzeit in den USA noch mit hohen Strafen bedroht war. Der Einzahlungsbeleg trug den Zeitstempel 11.17 Uhr.

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Direkt danach ging Ruby hinüber zum Polizeipräsidium und gelangte dort ungehindert in den Keller; der Dackel saß im Wagen seines Herrchens. Dass just in diesem Moment Oswald durch die Garage geführt wurde, war reiner Zufall – er hätte genauso gut fünf Minuten früher weggebracht werden können. Dann hätte Ruby keine Gelegenheit für seine Tat gehabt.

Offensichtlich also nutzte Ruby die sich ergebende Gelegenheit spontan, den mutmaßlichen Kennedy-Mörder in Selbstjustiz zu töten. Andererseits zeigen TV-Aufnahmen, dass der spätere Mörder schon am Abend des 22. November bei einer Pressekonferenz gewesen war, auf der auch der festgenommene Oswald einige Fragen von Journalisten beantwortet hatte. Nach eigenen Angaben hatte er dabei seinen Revolver bei sich.

Zum Motiv für den Schuss auf den Attentäter äußerte sich Ruby widersprüchlich. Mal sagte er, er habe um Jacqueline Kennedys willen geschossen, der jungen Witwe; mal wollte er die Ehre seiner Wahlheimat Dallas wiederherstellen. Er habe um den ermordeten Präsidenten getrauert und gab an, vor der Tat Aufputschmittel geschluckt zu haben.

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Ganz entschieden bestritt Ruby, in irgendjemandes Auftrag gehandelt zu haben – das glaubten ihm aber natürlich alle jene nicht, die hinter dem Mord an Kennedy eine Verschwörung sahen. Ihrer Meinung nach sollte Ruby den überlebenden Attentäter töten, um den Mitwisser zu beseitigen.

Nach einem angesichts der eindeutigen Lage kurzen, gleichwohl aber rechtsstaatlichen Prozess wurde er am 14. März 1964 zur Höchststrafe verurteilt: dem Tod auf dem elektrischen Stuhl. Doch die nächsthöhere Instanz hob das Urteil aus formalen Gründen auf. Bis zur Neuverhandlung blieb Ruby natürlich in Haft.

Bevor der neue Prozess allerdings wie geplant im Februar 1967 eröffnet werden konnte, musste Ruby am 9. Dezember 1966 mit den Symptomen einer schweren Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert werden – übrigens wieder ins Parkland Memorial. Dort diagnostizierten die Ärzte bei dem starken Raucher Lungenkrebs im Endstadium. Am 3. Januar 1967 starb Jack Ruby dort, wo gut drei Jahre zuvor schon der Tod von Kennedy und Oswald festgestellt worden war.

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Dieser Artikel wurde erstmals im November 2022.

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